Awareness Konzept
Awareness auf dem Stadt für alle Camp
1 – Was ist Awareness?
Der Begriff „Awareness“ kommt aus dem Englischen „to be aware“ und bedeutet (im weiteren Sinne) „sich bewusst sein, sich informieren, für gewisse Probleme sensibilisiert sein“. Wir leben in einer Gesellschaft, die von ungleichen Machtverhältnissen geprägt ist. Menschen werden aufgrund bestimmter Merkmale bevorteilt (Privilegierung) und benachteiligt (Diskriminierung) – ob absichtlich oder unbewusst.
Awareness stellt sich als Konzept gegen jede Form von Diskriminierung, Gewalt und Grenzverletzung. Verletzendes und grenzüberschreitendes Verhalten, wie z.B. sexistische, rassistische, antisemitische, queerfeindliche, ableistische, klassistische oder vergleichbare Übergriffe werden auf dem Stadt für alle Camp nicht toleriert.
2 – Warum brauchen wir Awareness?
Das Stadt für alle Camp soll ein Ort sein, wo sich möglichst viele Menschen wohlfühlen können. Dementsprechend ist uns ein achtsamer, respektvoller und solidarischer Umgang miteinander wichtig. Außerdem bietet das Camp den Teilnehmer:innen einen Raum, miteinander zu lernen, sich zu vernetzen und unsere widerständige Bewegung weiter auszubauen. Jedem anwesenden Mensch sollte ein barrierearmer Zugang zur inhaltlichen Weiterbildung und strategischen Diskussionen ermöglicht werden. Jedoch ist kein Mensch vorurteilsfrei und diskriminierungsfrei im Umgang mit anderen. Deshalb muss eine bewusste Reflexion darüber bei jeder einzelnen Person stattfinden (kritische Selbstreflexion). Wir können euch als Awareness-Team diese Arbeit nicht abnehmen. Wir bieten aber an, euch dabei in unserem möglichen Ausmaß zu begleiten.
Uns ist bewusst, dass wir als Awarenessteam aus überwiegend weißen Menschen bestehen und kritisieren dies. Außerdem müssen wir auch Selbstkritik an dem Zustand üben, dass wir keine extra BIPoC-Awareness Strukturen stellen können. Damit wir als Klimacamp unsere Awarenessarbeit verbessern können, würden wir BIPoC-Awareness-kollektive einladen sich bei uns zu melden 🙂
3 – Wie funktioniert Awareness?
Auf einen achtsamen, respektvollen und solidarischen Umgang miteinander zu achten, ist Aufgabe von uns allen. Wir wollen uns gegenseitig kritisch darauf hinweisen, wenn uns das nicht gelingt. Es kann aber auch zu Situationen kommen, wo das nicht ausreicht bzw. Menschen Unterstützung brauchen. Auch Grenzverletzungen, Übergriffe oder diskriminierendes Verhalten sind auf dem Camp als offener Ort nicht auszuschließen. Das Awareness-Team ist in diesen Fällen als vertrauliche, unparteiische und betroffenenorientierte Unterstützungsstruktur für euch da und versteht sich dementsprechend nicht als Mediator*innen. Hierbei liegt die Definitionsmacht über die erfahrene Gewalt und/oder Grenzüberschreitungen vollständig bei der betroffenen Person. Ihr könnt euch jederzeit an das Awareness-Team wenden, wenn euch etwas zu viel ist oder belastet.
Wir sind von 9:00 bis 22 Uhr ansprechbar. Menschen, die Awarenessschichten übernehmen erkennt ihr an den lilanen Westen. Zusätzlich sind Menschen vom Camp-Awarenessteam als Back-up vor Ort. Sprich die Personen in den lilanen Westen gerne jederzeit an oder rufe die Awarenessnummer an (0043/677/61498862). Das Handy ist im Zeitraum des Camps rund um die Uhr angeschaltet. Wir versuchen, am Camp – bei den Plena, in den Workshops,.. anwesend und ansprechbar zu sein.
Du kannst uns an den lila Westen erkennen.
Bei Notfällen könnt ihr uns 24/7, über folgende Telefonnummern erreichen: 0043/677/61498862
Kurze Erklärung von Begriffen:
Vertraulich: Bedeutet, dass nichts von dem, was ihr erzählt, an andere weitergegeben wird, außer ihr möchtet das. Alles Gesagte bleibt unter dem Team und euch. Auch die Information, dass ihr beim Awareness-Team Unterstützung gesucht habt, wird nicht weitergegeben.
Parteilich: Heißt, dass eure Wahrnehmung und Bedürfnisse ernstgenommen werden, und das Awareness-Team zu 100 % an eurer Seite steht.
Betroffenenorientiert: Bedeutet, dass es nur um euch und eure Bedürfnisse in der Situation geht. Was brauchst du jetzt in dem Moment? Wie kann das Awareness-Team dir am besten helfen? Das kann von „nur zuhören“ bis zur Unterstützung in für dich schwierigen oder verletzenden Situationen reichen.
Anstatt uns vordergründig mit Konsequenzen für die gewaltausübenden/übergriffigen Person zu beschäftigen, legt das Awareness-Team den Fokus auf die die Bedürfnisse der Personen, die sich an das Team wenden, um ihnen die weitere Teilnahme an dem Camp gut zu ermöglichen. Das kann letztlich jedoch auch den Ausschluss der gewaltausübenden/übergriffigen Person als Konsequenz bedeuten, da wir sicherstellen möchten, dass Betroffene nicht verdrängt werden.
Grenzen des Awareness-Teams
An dieser Stelle wollen wir drauf hinweisen, dass das Awareness-Team in Bezug auf Diskriminierungsverhältnisse nicht immer eigene Betroffenheit, Erfahrungen oder Kenntnisse mitbringt. Das kann gut und weniger gut zugleich sein. Einerseits gut, sofern dadurch Menschen, die selbst von den jeweiligen Diskriminierungsverhältnissen betroffen sind, dabei entlastet werden, Unterstützungsarbeit leisten zu müssen. Andererseits weniger gut, wenn sich Betroffene durch die Unkenntnis der Ansprechperson nicht wohl- oder ausreichend verstanden fühlen. Wir sehen das Bedürfnis, wenn Betroffene bevorzugen, mit Menschen zu sprechen, die ihre Erfahrungen teilen. Als Betroffene*r könnt ihr das bei der jeweiligen Person vom Awareness-Team direkt ansprechen, wir werden uns nach Möglichkeiten um eine andere Ansprechperson bemühen.
Auch Personen aus dem Awareness-Team haben ihre (emotionalen, psychischen) Grenzen. Auch sind sie keine Psychotherapeut*innen, Ärzt*innen, o.Ä., sondern ein Team aus ehrenamtlich Engagierten. Wenn sie euch nicht unterstützen können, leiten sie euch an Expert*innen weiter. Das Awareness-Team ist nicht zuständig für die Zurechtweisung von problematischem Redeverhalten, für politische Aushandlungsprozesse, Moderation oder psychotherapeutische Interventionen. Das Awareness-Team soll weder als Kontrollinstanz oder Sicherheitsdienst noch als Expert*innenorgan verstanden werden.
Awareness als gemeinsame Verantwortung:
Wir alle kommen mit unseren individuellen Vorerfahrungen, Betroffenheiten und Wissen zu Diskriminierung auf dieses Camp. All das ist nicht immer von außen sichtbar. Es ist wichtig, dass wir uns unsere eigenen gesellschaftlichen Positionierungen bewusst machen und rücksichtsvoll mit anderen Teilnehmenden umgehen. Wir kommen aus unterschiedlichen Bewegungen, Räumen und mit unterschiedlichen Zugängen und Schwerpunkten zusammen. Wir wollen einen Raum schaffen, in dem sich Menschen trauen, Fragen zu stellen und ihre Meinung zu sagen. Es soll aber auch möglich sein, seine Meinung zu ändern oder aneinander Kritik zu üben.
Auf dem Stadt für alle Camp wollen wir offen, gemeinsam und konstruktiv mit Kritik an sexistischen, rassistischen, antisemitischen, homo-, trans- und queerfeindlichen, ableistischen oder vergleichbaren Aussagen und Verhaltensweisen – besonders auch in unserem nähesten Umfeld – umgehen. Awareness als gemeinsame Verantwortung ist Aufgabe aller Camp Teilnehmer*innen
4 – Was kannst du für mehr Awareness tun?
Wir als Awareness-Team bieten von Diskriminierung betroffenen Personen konkrete Unterstützung an. Was wir aber NICHT leisten (können) ist z.B. Konfliktmanagement, Streitschlichtung oder therapeutische Arbeit. Einen sicheren Raum schaffen wir nur gemeinsam und jede*r einzelne von uns ist verantwortlich dafür, dass das gelingt. Sei also achtsam im Umgang mit anderen Camp-Teilnehmer*innen und informiere dich bestenfalls auch schon im Vorfeld über mögliche Formen von Diskriminierung.
Damit wir auf dem Camp eine angenehme Atmosphäre haben und möglichst viele Menschen bei den Workshops etwas mitnehmen können, rufen wir dazu auf, das eigene Redeverhalten in Gruppendiskussionen zu beobachten und zu hinterfragen. Je nachdem wie wir sprechen, kann es passieren, dass sich andere Teilnehmer*innen unwohl fühlen oder bestimmte Perspektiven aus der Diskussion ausgeschlossen werden. Zu sogenannten „dominanten Redeverhalten“ zählen:
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Lange, selbstgefällige Monologe,
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das Unterbrechen anderer,
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Zwischenkommentare,
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diskriminierende Sprache sowie
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dominante Kommunikationsmuster, die andere nicht direkt verbal angreifen, aber trotzdem die eigene (privilegierte) Stellung in einer Diskussion absichern. Das kann zum Beispiel die (teilweise unbewusste) Raumeinnahme von cis Männern sein, die andere (insbesondere FLINTA, Frauen, Lesben, inter und trans Personen, aber auch anderweitig marginalisierte Personen) belehren, deren Kritik ignorieren und Beiträge von ihnen für weniger wichtig halten.
Zuletzt: Sprich bitte jeden Menschen auf dem Camp zuerst auf deutsch an – außer, die Menschen sprechen gerade aktiv eine andere Sprache – selbst, wenn du vermutest, dass diese Person eventuell kein Deutsch spricht. Vom äußeren Erscheinungsbild kannst du nicht darauf schließen, welche Sprache eine Person sprechen kann. Halte dich zurück, wenn du Neugier empfindest, welche Herkunft oder Identität hinter dem Äußeren einer Person steckt. Menschen können selbst entscheiden, was und wann sie etwas persönliches von sich preisgeben wollen und brauchen dafür keine Mutmaßungen.
Antirassismus auf dem Stadt für alle Camp:
(dieser Absatz richtet sich vor allem an weiße Personen)
In dieser sehr weißen Klimagerechtigkeitsbewegung in Österreich wollen wir Teilnehmende des Camps dazu auffordern und bestärken sich mit den Hintergründen von kultureller Aneignung (z.B. white locks), Othering, Tokenism, weiße Vorherrschaft (white supremacy) und weiße Zerbrechlichkeit (white fragility) zu beschäftigen. Das Camp ist ein Raum, in dem wir uns gegenseitig ermutigen wollen, weiße Deutungshoheit abzugeben, ohne dabei die Verantwortung für antirassistische Praxis an Betroffene weiterzugeben. Wir möchten hier auch ein paar nützliche Links zur Verfügung stellen, um sich in dem Thema einzufinden und einen ersten Überblick zu bekommen:
Noa Ha:
https://web.archive.org/web/20240518135127/https:/missy-magazine.de/blog/2016/11/03/kulturelle-aneignung-und-koloniale-gewalt/
Mädchenmannschaft:
https://web.archive.org/web/20240518135123/https:/maedchenmannschaft.net/schwarze-widerstandssymbole-auf-weissen-koepfen/
Buchempfehlung:
Robin DiAngelo: White Fragility; Why it’s so hard for white people to talk about racism
Auf der Suche nach Dialogräumen: Anmerkungen zum Krieg in Israel und Palästina
Auf dem Stadt für alle Camp, gibt es keinen Platz für Rassismus, Antisemitismus oder jede anderweitige Diskriminierung, gerade auch im Kontext des Krieges in Gaza. Leider kommt es in linken Räumen vermehrt zu solchen Übergriffen.
Das Camp ist nicht der Ort, wo komplexe politische Fragen letztgültig ausdiskutiert werden können. Aber es ist der Ort, wo wir gemeinsam Schritte der Verständigung machen können. Dazu müssen wir uns inhaltlich nicht in allem einig sein. Unser Ziel ist es, einen Raum zu schaffen, der der Polarisierung innerhalb der ‚transnationalen Linken‘ entgegenwirkt und Betroffenheiten respektiert. Wir wollen eine Offenheit für unterschiedliche Positionen pflegen.
Einige Punkte stehen für uns jedoch nicht zur Diskussion: Wir verurteilen die Kriegsführung und entmenschlichende Rhetorik der rechten Regierung in Israel, welche zu über 50.000 Toten in Gaza geführt hat und die aktuelle Not der Zivilbevölkerung weiter vertieft. Eine Legitimation oder Relativierung dessen hat auf dem Camp daher keinen Platz. Gleichzeitig haben unserer Ansicht nach solidarisierende Bezugnahmen auf die Hamas, die Relativierung des Massakers vom 7. Oktober sowie jegliche antisemitische Äußerungen in linken Räumen und somit auch auf unseren Camp ebenso keinen Platz. Als Organisationsteam stehen wir auf der Seite der Menschen und der Zivilbevölkerung und stellen uns gegen die Entmenschlichung. Mit Blick auf Palästina und Israel schließen wir uns den Forderungen nach einem Ende des Krieges und der Freilassung aller Geiseln an.
Wir sind Aktivist*innen, Genoss*innen und Freund*innen, die unterschiedliche Erfahrungen gemacht haben. Wir sind geprägt von den Kontexten der Länder, in denen wir aufgewachsen sind und in denen wir leben, von deren Geschichte und Involviertheit. Es ist deswegen auch nachvollziehbar, dass wir in manchen Fragen unterschiedliche Positionen vertreten. Über unsere Prägungen und Hintergründe hinaus sollten wir die Bereitschaft zeigen, einander zuzuhören und aufeinander zu achten. Das bedeutet für uns, sich Themen fragend zu widmen und Grenzen, die kommuniziert werden, zu respektieren.
5 – Wir sehen uns auf dem Camp!
Wir wünschen viel Spaß beim Lernen und Erleben auf dem Stadt für alle Camp und freuen uns darauf, dich dort zu sehen. Weitere wichtige Infos bekommst du am Info-Point oder am Awareness-Zelt. Du kannst uns zudem Rückmeldungen, Fragen und Anmerkungen zu unserer Awareness-Arbeit anonym in dem Briefkasten am Info-Zelt hinterlassen, oder per Mail an: care@klimacamp.at schicken – sehr gern auch mit zeitlichem Abstand zum Camp. Diese werden wir dann auch nach dem Camp auswerten und reflektieren.
Eure Awareness-Crew 2025